Die Geschichte von Argentinien
Man nimmt an, dass die Besiedelung des heutigen Argentiniens durch den Menschen etwa 15.000 v. Chr. von Nordamerika aus erfolgte.
Die im Pampa-Raum des heutigen Argentinien ansässigen Stämme Querandíes (Het), Tehuelches (Aonikenk und Gununaküna) waren bis zum Eintreffen der Spanier nicht sesshaft und besaßen auch keine nennenswert entwickelte Technologie. Die Stämme im Nordwesten des Landes hingegen (z. B. die Quilmes) praktizierten etwa ab der Zeit des frühen Mittelalters in Europa Land- und Viehwirtschaft und waren vor allem auf dem Gebiet der Architektur weit fortgeschritten.
Im 13. und 14. Jahrhundert expandierte das Inka-Reich stark nach Süden und umfasste um 1450 weite Teile des Nordwestens Argentiniens bis in den Norden der heutigen Provinz Mendoza.
Die Europäer erreichten die Region erstmals mit der Reise Amerigo Vespuccis 1502. Das heutige Argentinien wurde im 16. Jahrundert von den Spaniern aus zwei Richtungen kolonisiert: Von Peru aus nahmen sie die nordwestlichen Teile des Landes in Besitz, während andererseits vom Atlantik aus spanische Niederlassungen am Stromsystem des Rio de la Plata gegründet wurden, darunter Buenos Aires, wo sich die Spanier im Jahre 1580 auf Dauer etablieren konnten, nachdem ein erster Versuch zur Gründung einer spanischen Siedlung dort im Jahre 1536 am Widerstand der indigenen Bewohner der Pampa gescheitert war. Die weiter südlich gelegenen Gebiete des heutigen Argentinien wurden zwar theoretisch auch von Spanien beansprucht, blieben aber in der Kolonialzeit faktisch außerhalb der spanischen Herrschaftssphäre.
Administrativ war das heutige Argentinien zunächst Teil des Vizekönigreiches Peru, welches Südamerika mit Ausnahme der portugiesische Einflusssphäre umfasste. Im Jahre 1776 wurde von diesem das Vizekönigreich des Rio de la Plata mit Hauptstadt Buenos Aires abgespalten, welches neben Argentinien noch das heutige Bolivien, Paraguay und Uruguay umfasste.
Die unter dem Eindruck der Französischen Revolution am 25.Mai 1810 in Buenos Aires erklärte Unabhängigkeit hatte nur lokale Wirkung (Mai Revolution). Die Unabhängigkeit erlangte das Land schließlich nach einem Befreiungskrieg gegen die Spanier am 9. Juli 1816 in San Miguel de Tucumán. Wie zuvor Paraguay im Jahre 1811, spalteten sich dann auch 1825 Bolivien und 1828 Uruguay von den damaligen Vereinigten Provinzen des Rio de la Plata ab.
Zwischen 1816 und 1880 war die Entwicklung Argentiniens von Diktaturen (etwa unter Juan Manuel de Rosas) und Bürgerkriegen geprägt. In diese Zeit fiel auch der Tripel-Allianz-Krieg 1864 bis 1870, in dem Argentinien gemeinsam mit Brasilien und Uruguay einen gewaltsamen Expansionsversuch Paraguays abwehrte. Argentinien gewann durch diesen Krieg das Gebiet der heutigen Bundesstaaten Misiones, Formosa und Chaco hinzu.
Die Jahre von 1880 bis 1912 waren durch die zahlreiche Einwanderung vor allem von Italienern und Spaniern gekennzeichnet, die sich in den Städten und in so genannten Kolonien“ auf dem Land ansiedelten. Politisch ist diese Zeit als Scheindemokratie zu bezeichnen, denn die Regierung Julio Argentino Roca und die folgenden Regierungen waren oligarchisch ausgerichtet, mit großem Einfluss der Großgrundbesitzer. Dem Gros der Bevölkerung wurde durch ein ausgeklügeltes Wahlbetrugs-System die politischen Rechte vorenthalten; auch die Einwanderer hatten kein Stimmrecht.
Ab 1893 verschärfen sich die Grenzprobleme mit Chile, nachdem Blivien einen Teil der Puna de Atacama an Argentinien abgetreten hatte. Diese war seit dem Salpeterkrieg von Chile besetzt. Zwischen Chile und Argentinien kommt es zu einem Wettrüsten. Erst der britische König Edward VII. kann 1902 den Grenzstreit schlichten. Patagonien und Feuerland werden neu aufgeteilt, davon fallen 54.000 km² an Chile und 40.000 km² an Argentinien.
Zwischen 1912 und 1946 wechselten sich demokratische Regierungen und Militärdiktaturen ab. Vor allem die 30er Jahre werden heute als década infame, als berüchtigtes Jahrzehnt bezeichnet, in dem die Demokratie nur auf dem Papier existierte und Wahlbetrug an der Tagesordnung war. Im Laufe der ersten Hälfte der 40er Jahre gelang es dem jungen Offizier Juan Domingo Perón, sich trickreich an die Macht zu manövrieren. Er belegte zunächst unter den Militärs das Arbeitsministerium und wurde wegen seiner weit reichenden Zugeständnisse an die Gewerkschaften schnell zu einem Volksheld in der Arbeiterklasse. Im Jahre 1946 wurde er zum Präsidenten gewählt.
Im Zweiten Weltkrieg war Argentinien offiziell neutral. Es sympathisierte zunächst mit den Achsenmächten, unterstützte gegen Kriegsende jedoch die Alliierten. Während des Krieges war Argentinien Zielland von Flüchtlingen aus Europa; nach dem Krieg fanden in Argentinien ebenso wie in anderen Staaten Lateinamerikas zahlreiche Nazis Unterschlupf. Unter Perón, der mit faschistischem Gedankengut sympathisierte, verfolgte Argentinien das Ziel, in seinem Land einen Spezialdienst für den antikommunistischen Kampf aufzubauen, und konnte die Nazi-Führungskräfte dafür gut brauchen. Unter den prominentesten Nazi-Kriegsverbrechern in Argentinien waren Adolf Eichmann, der am 23- mai 1960 vom Mossad entführt und in Israel zum Tode verurteilt wurde, Josef Mengele, Arzt des Konzentrationslager Auschwitz, sowie Walter Rauff, der im Zweiten Weltkrieg mitverantwortlich war für den Einsatz fahrbarer Gaskammern, mit denen die Häftlinge aus Konzentrationslagern ermordet wurden. Über so genannte Schlüsselfirmen wurden auch hohe Vermögenswerte der Nazis nach Argentinien verschoben.
Ab der ersten Regierungszeit von Juan Domingo Perón (1946-1955) wurde das vorher von der Landwirtschaft geprägte Land industrialisiert; Argentinien verzeichnete in der Folgezeit wirtschaftliche Höhen und Tiefen im Wechsel. Zwischen 1955 und 1983 gab es eine Epoche der Instabilität, in der abwechselnd zivile und Militär-Regierungen das Land in der Hand hatten.
Die zweite Amtszeit Peróns von Oktober 1973 bis zu seinem Tod am 1.Julo 1974 brachte nur eine geringfügige Beruhigung in die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse Argentiniens. Nach seinem Tod wurde seine dritte Ehefrau, Isabel Perón (genannt Isabelita“), die er zur Vizepräsidentin gemacht hatte, auf Betreiben der peronistischen Partei als Präsidentin eingesetzt. Diese, eine ehemalige Nachtclubtänzerin, war mit diesem Amt völlig überfordert und diente den hinter ihr stehenden politischen Machthabern lediglich als Marionette. Die darauf folgende Zeit war geprägt von Unruhen, wildem Streik (huelga“) und von den Gewerkschaften angeordnetem Stillstand des öffentlichen Lebens (paro general“ = Generalstreik), die von einer Minute auf die andere die Hauptstadt überzogen. Oppositionelle sowie Kritiker, die den Machthabern unbequem erschienen, verschwanden, teilweise für immer. Kriminelle Gruppierungen machten sich das Chaos zunutze, für ihre eigenen Interessen Entführung und andere Verbrechen zu begehen. Die Entführung des für Mercedes-Benz den Standort Argentinien betreuenden Produktionsleiters Heinrich Metz im Oktober 1975 (er kam später für ein Lösegeld in Höhe von mehreren Millionen US-Dollar wieder frei), löste eine Fluchtwelle unter den für deutsche Firmen in Argentinien tätigen Immigranten aus.
Im Jahr 1976 kam es zum Umsturz der Regierung und es installierte sich unter der Führung von Jorge Rafael Videla eine Militärdiktatur unter dem Namen des Prozesses der Nationales Reorganisation“, geleitet von einer Junta aus drei Mitgliedern. Von da an verschwanden noch mehr Menschen, die genaue Zahl ist nicht bekannt und wird auf bis zu 30.000 Opfer geschätzt. Unter den desaparecidos“ (Verschwundenen) befanden sich auch zahlreiche Studenten, deren Mütter sich zusammenschlossen, um vor dem Regierungsgebäude – der Casa Rosada“ – ungeachtet ihrer Selbstgefährdung zu demonstrieren und damit in die Geschichte eingingen. Ziel der Madres de Plaza de Mayo (Mütter der Plaza de Mayo“), war und ist es, Kenntnis über den Verbleib ihrer Kinder zu erhalten. Mittlerweile gibt es auch eine Organisation Abuelas de Plaza de Mayo (Großmütter der Plaza de Mayo“, deren Zweck es ist, die in der Gefangenschaft geborenen und illegal zur Adoption frei gegebenen Kinder der Verschwundenen in ihre Familie zurückzuführen. In späteren Gerichtsverfahren gegen verantwortliche Militärs, die nur mit Mühe durchgesetzt werden konnten, wurde bekannt, dass sich die militärischen Machthaber zahlreicher Menschen auf grausame Weise entledigt hatten: Die Opfer wurden betäubt und über dem Atlantik aus dem Flugzeug geworfen.
Im Dezember 1978 kam es zu kriegerischen Drohungen zwischen Argentinien und Chile. Die Inseln Lennox, Picton und Nueva im Beagle-Kanal wurden zum Streitpunkt. Insbesondere da in der Gegend größere Öl-Reserven vermutet wurden. Der Streit wurde erst durch Vermittlung des Heiligen Stuhls mit einem Grenzvertrag am 16.Dezember1988 friedlich beigelegt und die Inseln wurden Chile zugesprochen.
Im April 1982 trat Argentinien unter dem neuen Junta-Chef Leopoldo Galtieri mit Großbritanien in den Krieg ein. Es ging um die Argentinien vorgelagerten Falklandinseln (in Argentinien als Islas Malvinas“ bezeichnet), die nach argentinischer Rechtsauffassung zum eigenen Staatsgebiet gehören, jedoch von Großbritannien verwaltet werden. Die Invasion argentinischer Soldaten wurde von den Streitkräften des Vereinigten Königreichs mit Luftangriffen, einem Seekrieg und einer Landeoperation erfolgreich revidiert. Argentinien kapitulierte am 14. Juni 1982. 1983 kehrte das Land zur Demokratie zurück. Der erste Präsident dieser Epoche war Raúl Alfonsín (UCR), der jedoch 1989 infolge einer schweren Wirtschaftskrise vorzeitig zurücktrat. Die Peronistische Partei kam mit Carlos Menem wieder an die Macht. Die neoliberale Wirtschaftspolitik Menems und die 1:1-Bindung des Argentinischen Peso an den US-Dollar war während seiner ersten Amtszeit äußerst erfolgreich und konnte das Land stabilisieren. Während seiner zweiten Amtszeit machten sich aber immer mehr die negativen Seiten dieser Wirtschaftspolitik bemerkbar.
Zwischen 1998 und 2002 fiel daher das Land erneut in eine schwere Wirtschaftskrise, in der die Wirtschaftskraft um 20% zurückging. 1999 wurde die Regierung Menem durch eine Mitte-Links-Koalition mit dem Präsidentschaftskandidaten Fernando de la Rúa abgelöst. De la Rúa konnte aber die verfahrene wirtschaftliche Situation, die sein Vorgänger hinterließ, nicht schnell und nachhaltig verbessern. Das zögerliche Handeln des Präsidenten, Streitereien innerhalb der Koalition und eine starke außerparlamentarische Opposition durch die Gewerkschaften, die traditionell den Peronisten nahe stehen, schwächten De la Rúa zunehmend. Dies gipfelte Ende 2001 nach starken Unruhen und Plünderungen im Rücktritt von Präsident Fernando de la Rúa.
In der Folge gab es mehrere peronistische Interimspräsidenten. Im Mai 2003 wurde nach einer sehr chaotisch verlaufenden Präsidentschaftswahl Néstor Kirchner zum neuen Staatsoberhaupt gewählt. Er gehört eher dem linken Flügel der peronistischen Partei an. Trotz seines niedrigen Wahlergebnisses ist Kirchner jedoch zur Zeit in der Bevölkerung sehr beliebt, weil er fällige Reformen angeht, die die Situation des Landes auf allen (auch auf sozialen) Gebieten verbessern könnten. Derzeit ist die Wirtschaft auf Erholungskurs: 2003 verbuchte Argentinien ein Wachstum des Bruttoinlandproduktres in Höhe von +8,7% gegenüber -10,9% im Jahr 2002. Kritiker werfen jedoch Kirchner vor, nicht gegen die omnipräsenten Gruppen von arbeitslosen Straßenblockierern (Piqueteros“) vorzugehen, die oft illegal Straßenzölle erheben und den Binnenhandel lähmen.
Bei den Wahlen zum argentinischen Senat und zur argentinischen Abgeordnetenkammer im Oktober 2005 gingen die Anhänger Néstor Kirchners mit etwa 40% der Stimmen als Sieger hervor. Bei der Wahl um Senatorenposten der wichtigen Provinz Buenos Aires gewann seine Frau Cristina Fernández de Kirchner gegen die Ehefrau des ehemaligen Präsidenten Eduardo Duhalde Hilda Gonzáles de Duhalde, die ebenfalls der Peronistischen Partei angehört. Der Präsident wurde somit gestärkt und kann sich in beiden Kammern auf eine breite Mehrheit auch innerhalb seiner eigenen Partei stützen. Er wird daher in Zukunft voraussichtlich weniger häufig per Dekret regieren müssen.